Eine Reise ins Leipziger Neuseenland

Februar 2019

Obwohl längst noch nicht alle Kohlegruben des mitteldeutschen Braunkohlereviers um Leipzig geschlossen sind, mausern sich die bereits gefluteten Tagebaurestlöcher zu reizvollen Naherholungsgebieten. „Ferien am Wasser“ hat das „Leipziger Neuseenland“ besucht.

Vineta, die sagenumwobene Stadt an der vorpommerschen Ostseeküste, ging vor über tausend Jahren bei einem Sturmhochwasser unter und versank für immer in den Fluten. Bis heute ranken sich Legenden, und Forscher rätseln darüber, wo sich Vineta einst befunden haben könnte. Auch im Süden von Leipzig gibt es mittlerweile einen Ort namens VINETA, der jedoch nichts mit der Stadt aus der Sage zu tun hat. Die schwimmende Insel VINETA im Störmthaler See markiert genau jene Stelle, wo sich bis 1978 der Kirchturm des von der Landkarte verschwundenen Dörfchens Magdeborn befand. Wie die Ortsteile Gruna, Kötzschwitz, Dechwitz, Göhren, Sestewitz, Tanzberg und Götzschen fiel auch Magdeborn dem Braunkohletagebau der Grube Espenhain zum Opfer. Die Menschen mussten ihre Heimat verlassen, wurden umgesiedelt und ihre Dörfer von der Landkarte getilgt. Kein Ort. Nirgends.


„Ferien am Wasser“ empfiehlt folgende Unterkünfte im Leipziger Neuseenland:


Als Mitte der 1990er-Jahre die ersten Tagebaue der bereits um das Jahr 1900 eröffneten Braunkohlereviers um Leipzig geschlossen wurden, begann unter der Federführung der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft (LMBV) mit der Entwicklung neuer regionaler Infrastrukturen auch die Rekultivierung einstiger Restlöcher. So entstand bereits vor 20 Jahren im Süden von Leipzig der Cospudener See, den die Leipziger liebevoll „den Cossi“ nennen. Mit der Flutung weiterer Tagebaurestlöcher entstand das Leipziger Neuseenland mit etwa 70 Quadratkilometer Wasserfläche, dessen vollständige Rekultivierung und touristische Erschließung jedoch noch nicht abgeschlossen ist.

Leipzig ist eine Stadt am Wasser

Doch was hat das neue Seenland uns Wassersportlern zu bieten? Um das herauszufinden, habe ich mich auf Erkundungstour gemacht. Die Reise zur VINETA beginnt im Stadthafen von Leipzig. Im Hafenbüro am Elstermühlgraben werde ich von Standortleiterin Isabell Spindler (28) aufgeklärt. „Wir haben hier westlich des Stadtzentrums innerhalb des Leipziger Stadtgebietes insgesamt 30 Kilometer lange Wasserwege, die mittlerweile wieder nutzbar und touristisch erschlossen sind. Industrieabwässer und Braunkohletagebaue machten seit Mitte der 1950er- Jahre eine wassertouristische Nutzung der Leipziger Gewässer unmöglich. Fluss-Badeanstalten und Bootshäuser wurden geschlossen und auf dem Wasser fand kein Verkehr mehr statt. Heute, mit neu gewonnener Wasserqualität und neuen Tourismuskonzepten, wurden die innerstädtischen Flüsse und Kanäle wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt und wir sprechen nun sogar vom Leipziger Klein-Venedig.“

Ich erfahre, dass Leipzig inmitten des Zusammenflusses der Flüsse Weiße Elster, Pleiße und Parthe liegt, die zusammen mit den kleineren Fließgewässern Kleine Luppe, Neue Luppe und Nahle den „Wasserknoten Leipzig“ bilden. Kann man denn schon von hier aus mit dem Motorboot ins neue Seenland fahren? Isabell Spindler lacht: „Nein, das ist leider nicht möglich. Wir bieten geführte Touren mit dem extra für unsere Gewässer entwickelten, flachen, emissionsarmen und umweltverträglichen Elektroboot „LeipzigBoot“ an, es gibt aber keine Motorboote für Selbstfahrer. Das liegt in der Gewässersituation und der Naturschutzverträglichkeit begründet. Bei uns wird gepaddelt oder gerudert. Sie können gerne mit einem Kajak bis zum Cospudener See paddeln, da sind Sie in etwa drei Stunden und erleben herrliche Natur!“

Bis zu 900 Kanus täglich auf dem Karl-Heine-Kanal

Ausgehend vom Stadthafen Leipzig, bieten sich mehrere attraktive Strecken für Paddler an, die hier „Kurse“ genannt werden. So führt Kurs 1 über elf Kilometer von Leipzig zum Cospudener See, auf Kurs 2 (6,6 km) erlebt man die Industriearchitektur am Wasser, Kurs 5 (15,4 km) soll ab 2023 durchgängig vom Stadthafen über den Markkleeberger See bis zum Störmthaler See führen, und auf Kurs 7 (8,9 km) ist man auf einem leichten und dennoch anspruchsvollen Kanu-Rundkurs in der Wasserstadt Leipzig unterwegs. Eine Reihe von Wehren und Schleusen macht das Revier auf den ersten Blick etwas unübersichtlich. Wer ohne Guide unterwegs ist, bekommt am Stadthafen eine Streckeneinweisung und detaillierte Gewässerkarten.

Ein absoluter Höhepunkt beim innerstädtischen Paddeln ist der ab 1856 erbaute „Karl-Heine-Kanal“, ein etwa 3,3 km langer Wasserlauf im Westen von Leipzig, der den Lindenauer Hafen mit der Weißen Elster verbindet. Auf dem von 15 Brücken überspannten Kanal erlebt man eine einzigartige und rekonstruierte Industriearchitektur mit hellen Lofts und grünen Ufern. In heißen Sommern wurden auf dem Kanal, einem Leipziger Kulturdenkmal, täglich bis zu 900 Paddelboote gezählt!

Aus der Innenstadt in das Leipziger Neuseenland paddeln

Um auf dem Wasser per Kanu oder Kajak in die neuen südlichen Leipziger Seen zu kommen, stehen momentan zwei Kurse zur Auswahl. Auf dem bereits erwähnten Kurs 1 geht es ab Start im Stadthafen am Elstermühlgraben in das Elstermühlbett, weiter südlich zur Pferderennbahn und dann bis zu Teilung Pleiße-Elsterflurbett. Nachdem man dann weiter bergauf die Selbstbedienungsschleuse Connewitz mit einer Bootsrutsche hinter sich gelassen hat, beginnt hier die Fahrt auf der Pleiße durch den Naturraum des Leipziger Auwaldes, in dem zum Schutz der sensiblen Natur besondere Befahrensregeln zu beachten sind. Nach der Connewitzer Schleuse und etwa 4,5 Kilometern ab Startpunkt wird es noch romantischer, wenn man rechts in den Floßgraben abbiegt und die Pleiße links liegen lässt. Es geht durch einen dicht bewachsenen Auwald, in dem sogar der Eisvogel brütet. Deshalb ist das Befahren des Floßgrabens während der Eisvogel-Brutzeit vom 1. März bis 30. September täglich nur von 11.00 bis 13.00 Uhr, von 15.00 bis 18.00 Uhr und von 20.00 bis 22.00 Uhr erlaubt.

Nach einer Teilung des Floßgrabens wird nach knapp 6,9 Kilometern der Waldsee Lauer erreicht, der bereits zum Landschaftspark Cospuden gehört. Es folgt die Selbstbedienungsschleuse Cospuden und nach insgesamt 8,6 Kilometern ist der 55 m tiefe und 4,4 km2 große „Cossi“ erreicht, der sich mit dem längsten Sandstrand Sachsens schmücken kann. Ziel ist jedoch der Zöbigker Hafen mit dem sogenannten „Pier1“. Hier schlägt das maritime Herz des Sees, hier gibt es Bars, Restaurants, einen Biergarten, Ferienwohnungen, maritime Shops, eine Bummelmeile sowie Segel- und Tauchschulen. Neben Fortbewegungsmitteln wie Tretmobilen, Fahrrädern, Tandems, Gokarts, Rollern und Scootern stehen für Freunde des Wassersports Ruderboote, Kajaks, Elektroboote, Tretboote oder Segelboote bereit. Besitzer von Segelbooten können am „Pier 1“ vor Anker gehen und sogar ganzjährige Land- oder Wasserliegeplätze mieten. Leider ist die Weiterfahrt zum Zwenkauer See erst nach der Fertigstellung des „Harth-Kanals“ ab 2022 möglich, und so bleibt der „Cossi“ momentan noch eine Sackgasse …

Promenade, Cafés und Bootsverleih am Markkleeberger See

Und wie kommen wir nun in den Markkleeberger See und zur VINETA? Ebenfalls vom Stadthafen Leipzig ausgehend, endet der Kurs derzeit nach 7,1 Kilometern an der Brücke am Goethesteig. Der geplante Durchstich zum Markkleeberger See mit der „Möncherei-Schleuse“ und der „Markkleeberger Wasserschlange“ soll voraussichtlich erst im Jahr 2023 möglich sein. Weil ich nicht solange warten kann, erkunde ich auch das weitere Leipziger Neuseenland mit dem Auto. An der Seepromenade bietet sich ein herrliches Panorama über den 58 m tiefen, 2,52 km2 großen und bis 2006 gefluteten Markkleeberger See.

Strandcafé-Serviererin Alla Barth schwärmt: „Abends wird es hier richtig romantisch!“ Im Norden des Sees, an der Seepromenade, gibt es einen Bootsverleih und man kann sich mit den Fahrgastschiffen „MS Wachau“ und „MS Markkleeberg“ über den See schippern lassen. Allein die „MS Wachau“ kann aufgrund ihrer geringeren Größe die neue Schleuse im Störmthaler Kanal passieren und damit vom Markkleeberger See in den Störmthaler See fahren. Im Süden des Sees befindet sich der Seepark Auenhain mit Restaurant und Ferienhäusern, und gleich daneben geht´s auf der künstlichen Wildwasser-Rafting-Strecke des „Kanuparks“ sportlich zur Sache.

Am südlichen Ende des Sees, kurz vor der Einfahrt in den Störmthaler Kanal, treffe ich Franziska Böhm (34) und Carsten Müller (36) von der „ALL-on-SEA“-Wassersportschule am Markkleeberger See. Bei ihnen kann man Sportbootführerschein-Ausbildungen absolvieren, alle Arten von Wind- oder Muskelkraft angetriebenen Wasserfahrzeugen ausleihen, geführte Bootstouren und Events im Wassersportcamp erleben. „Leider sind Motorboote jeder Antriebsart auf dem Markkleeberger See derzeit nicht erlaubt, beziehungsweise benötigen sie eine wasserrechtliche Gestattung vom Landratsamt. Für Segelboote ab sechs Quadratmeter Segelfläche besteht eine Fahrerlaubnispflicht.“ Aha.


„Ferien am Wasser“ stellt weitere Urlaubsregionen vor:


Zeugen der Bergbau-Geschichte erleben

Der weitere Wasserweg zur VINETA führt jetzt durch den 850 m langen Störmthaler Kanal, in dem eine Hubbrücke und die „Kanuparkschleuse“ für maritime Abwechslung sorgen. Die Schleuse gleicht einen vier Meter hohen Wasserspiegelunterschied zwischen dem Markkleeberger See und dem Störmthaler See aus. In der 20,00 m langen und 5,00 m breiten Schleusenkammer können Boote bis zu zehn Metern Länge und 1,20 m Tiefgang geschleust werden. Hoch über dem Kanal thront der „Bergbau-Technik-Park“ Großpösna, in dem der komplette Förderzyklus eines Braunkohletagebaus nachvollzogen werden kann. Gigantische Bergbau-Großgeräte wie ein Schaufelradbagger mit Bandabwurfgerät sind weithin sichtbares Zeugnis der Tagebau-Region.

Nach dem Kanal öffnet sich der 55 m tiefe und 7,33 km2 große Störmthaler See, der im April 2014 eröffnet wurde. Jetzt komme ich VINETA endlich näher. Die 15 m hohe schwimmende Kirche im See wird als Event-Location vom Krystallpalast-Varieté Leipzig betrieben und ist nur per Wasserfahrzeug zu erreichen. Das vielfältige Angebot des VINETA-Projekts umfasst neben Events auf der schwimmenden Insel auch Entdeckertouren per Schiff und Boot, sowie Amphibientouren zu Land und zu Wasser. Highlight ist der „VINETA-Fly“, ein Flug per Jetlev-Düsenrucksack über die Wasseroberfläche.

Das maritime Treiben steppt im Süden des Sees, wo sich am neuen Hafen-Hotel-Komplex „Lagovida“ auch der „Bootsverleih am Störmthaler Hafen“ befindet. Hier kann man von April bis Oktober führerscheinfreie 15-PS-Boote ausleihen und die Insel VINETA quasi auf geliehenem Kiel umrunden. Ich bin zu früh, denn es ist März und so schweifen meine Blicke am ehemaligen Bergbau-Dispatcherturm an der Magdeborner Halbinsel über den See - VINETA, ich komme wieder!

Hainer See und die Lagune Kahnsdorf

Weiter südlich liegt der 2010 geflutete, 49 m tiefe und 6,0 km2 große Hainer See, der von der Blausee GmbH und ihrer Tochtergesellschaft Blauwasser Seemanagement GmbH privatwirtschaftlich betrieben wird. Im Süden des Sees befindet sich die malerische Lagune Kahnsdorf mit bunten Boots- und Ferienhäusern am See, sowie dem Bootsverleih Hainersee. Gäste, die mit eigenem Motorboot mit maximal 20 Pferdestärken am Heckspiegel den Hainer See besuchen, können für ihre Aufenthaltsdauer eine Nutzungserlaubnis von Blauwasser bekommen.

Boote mit Heimathafen Hainer See können sogar für drei Seen eine Genehmigung bekommen (Hainer See, Strörmthaler See und Zwenkauer See). Unbedingt zu empfehlen ist ein Besuch des in einen englischen Park eingebetteten Rittergutes Kahnsdorf mit stilvollen Ferienwohnungen. Im zum Gut gehörenden „Schillerhaus“ traf Friedrich Schiller anno 1785 auf Christian Gottfried Körner, der später zu seinem besten Freund und Förderer wurde. Noch heute kann man über originale Holzdielen von 1686 schreiten, die schon unter den Schuhen von Felix Mendelssohn Bartholdy und Theodor Körner knarzten.

Wohnen und leben am Zwenkauer See

Meine letzte Station im Leipziger Neuseenland ist nun der etwas nordwestlich vom Hainer See gelegene und bis 2015 geflutete Zwenkauer See, der mit einer Fläche von 10,0 km2 und einer Tiefe von 48 m auch das größte Gewässer im südlichen Leipziger Neuseenland ist. Am „Kap Zwenkau“ entstand mittlerweile ein modernes, architektonisch interessantes und maritimes Stadtquartier, das man mit etwas Phantasie vielleicht mit Kühlungsborn oder Boltenhagen an der mecklenburgischen Ostseeküste vergleichen kann. Der von der Sächsischen Seebad Zwenkau GmbH & Co.KG betriebene Revierhafen „Z1“ bietet alle Dienstleistungen, die man von einer modernen Marina erwartet und hat mich bei meiner Stippvisite schwer beeindruckt.

Das Serviceangebot mit Ferienwohnungen, Restaurants, Spielplatz, Tauchbasis und Seepromenade ist schlicht überwältigend und hier bleiben keine Wünsche offen. Die „seglermanufaktur“ bietet Sportbootführerscheine von Binnen bis zum SSS und die Funkzeugnisse UBI und SRC an. Selbstverständlich gibt es einen Bootsverleih und man kann auch sein eigenes Motorboot slippen. Für größere Boote steht ein 7.5-Tonnen-Kran bereit. Wer hier einen von 240 festen Liegeplätzen ergattert, der hat auf den drei bereits genannten Seen freie Fahrt. Mit Fertigstellung des bereits im Bau befindlichen Harth-Kanals wird der Zwenkauer See voraussichtlich 2022 an den Cospudener See angebunden.

Zukünftig von Leipzig bis zur Ostsee fahren?

Daniela Kuhnert, die Projektmanagerin der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, erklärt: „Das Besondere an den südlichen neuen Seen ist die wasserseitige Verbindung zwischen der urbanen Großstadt Leipzig und den Naherholungsgebieten auf dem Land. Mit dem Weiterbau des bereits 1933 begonnenen und 1943 eingestellten Bau des Elster-Saale-Kanals westlich hinter dem Lindenauer Hafen könnte Leipzig über Saale und Elbe an das norddeutsche Wasserstraßennetz angebunden werden. Dann könnten mitteldeutsche Freizeitskipper per Boot an die Nord- oder Ostsee fahren!“

Das zu den vielen kleineren südlichen Leipziger Seen auch der südwestlich zwischen Leipzig-Grünau und Markranstädt liegende und bei Tauchern sehr beliebte Kulkwitzer See („Kulki“) gehört, sei hier noch unbedingt erwähnt. Ein weiteres neues Wassersportrevier entwickelt sich außerdem im Norden, zwischen Bitterfeld und Gräfenhainichen. Der „Große Goitzschesee“ bei Bitterfeld und „Ferropolis“, die „Stadt aus Eisen“ am Gremminer See, sind unbedingt einen Besuch wert. Also, Leinen los!

Text: Rex Schober von www.yachtfotograf.de.

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