Entschleunigung in der Altmark – In the Middle of Nüscht

November 2018

Die Altmark ist eine noch wenig bekannte aber wasserreiche Region zwischen Hamburg, Berlin und Hannover. Gerade ist über diesen Landstrich ein Reiseführer mit dem Titel „In the Middle of Nüscht“ erschienen, der auf liebenswerte Weise Menschen und Region vorstellt. „Ferien am Wasser“ hat mit der Autorin Sibylle Sperling gesprochen. Sie gibt exklusive Tipps für einen Wasserurlaub in der Altmark.

Sie haben einen besonderen und alternativen Reiseführer über die Altmark veröffentlicht, quasi ein Entschleunigungsbuch. Was war der Anlass zum Buch?

Es gab keinen Anlass, mein persönlicher Weg hat mich vielmehr Schritt für Schritt und ganz automatisch zum Buch geführt. Zuerst war da der Mangel: Als ich mit meiner Familie aus Berlin nach Stendal in die Altmark gezogen bin, hatte ich nach einem Jahr Entzugserscheinungen. Mir war unendlich langweilig. Mir fehlte eine Art Landlust für die Altmark, eine Zeitschrift mit Tipps für Ausflüge und Kulturangeboten. 2015 habe ich den Landfrauen ehrenamtlich bei ihrem Kochbuch geholfen und gemerkt, dass mir Verlagsarbeit und Bücher am Herzen liegen. Kurz bevor ihr Buch im Herbst 2015 erschienen ist, kam der Verlagsleiter auf mich zu. Ob ich nicht Lust hätte, einen Bildband oder eine Art Reiseführer für die Altmark zu machen. Nach „dem dritten Hin-und-Her-Überlegen“ hatte ich Lust.

Ihr Buch heißt „In the Middle of Nüscht“. Wie ist es zu diesem ungewöhnlichen Titel gekommen?

Es war wohl Schicksal – ich habe das Buch nie allein machen wollen. Unterschiedliche, regionale Autoren – jung und alt – sollten für eine bunte Themenmischung sorgen, ich habe also viele „Schreiber“ angefragt. Als ich mich 2016 mit einem ABC der Altmark bei einem Wettbewerb beworben hatte, fiel beiläufig der Kommentar „In the Middle of Nüscht“. Der ganze Raum hat gelacht und mein Mann gesagt, das sei der Titel. Ich fand ihn witzig, hatte aber Sorge, dass sich die Altmark auf den Schlips getreten fühlt. Dass sie nicht gleich versteht, dass das Nüscht liebevoll mit einem Augenzwinkern gemeint ist. Erfunden hat den Slogan übrigens Jana Henning. Jana hat für mich eine Reportage über den Ort Gladigau für das Buch geschrieben und seither sind wir Partner und ziehen an einem Strang.

Ursprünglichkeit und Authentizität in der Altmark erleben

Gibt es in der Altmark wirklich „nüscht“?

Ich habe das Buch gemacht, um zu zeigen, dass die vermeintlichen Schwächen der Altmark die Chance sind. Wenige Menschen, keine Autobahn, schlechte Infrastruktur… Für die Entwicklung des sanften Tourismus ist die Region geradezu geschaffen. Wir haben hier noch eine ursprüngliche Natur und ursprüngliche Dörfer und auch authentische Menschen!!! Viele arbeiten ehrenamtlich für ihr Dorf und mit Herzblut, das spürt man bei einem Besuch. Das zeige ich auch in meinem Buch – mit den Reportagen über die Kirchen, das Jerichower Kloster, den Bismarktext, den Indianer und den Naturmaler Kisselmann. Diese Ursprünglichkeit gilt es zu bewahren. Im Übrigen bekomme ich als DDR-Kind hier Heimatgefühle. Wenn ich beispielsweise in Gladigau in der Mühlenbäckerei stehe. Alles sieht so aus und duftet wie früher. Dann geht mein Herz auf, und diese Momente habe ich oft in der Altmark. Zum Anfang dachte ich, Mann oh Mann, ist das hier stehengeblieben. Mittlerweile schätze ich dieses „Stehengebliebene“.

Warum sollte ein Urlauber unbedingt einmal die Altmark besuchen? Hätten Sie fünf Gründe parat?

  1. Lage: Slow reisen, inmitten der Großstädte Hamburg, Schwerin, Berlin, Magdeburg, Leipzig und Hannover
  2. unberührte Natur, das „Stressfreie“ liegt hier quasi in der Luft
  3. DDR-Heimatgefühle
  4. hübsch sanierte Hansestädte und niedlich verschlafene Dörfer
  5. süße und mit Herzblut engagierte Menschen

Ein Grund ist natürlich auch das viele Wasser. Es entschleunigt ungemein. Welche Rolle spielen Flüsse und Seen in der Altmark und welche gibt es?

Anfänglich hab ich nur die Elbe gesehen und bin ständig auf dem Deich spazieren gegangen. Im Sommer haben wir oft am Sandstrand gesessen, meine Kinder haben im Wasser getobt. Mittlerweile sind mir auch Biese und Aland ans Herz gewachsen… und im Sommer schwimme ich gern im Arendsee („Ferien am Wasser“-Tipp: Ferienhaus Fritz Amsee in Arendsee).

Das älteste Flussbad Europas in der Altmark besuchen

Welche Tipps haben Sie speziell für Wassertouristen, die die Altmark kennenlernen möchten?

Natürlich ist die Havel im Elb-Havel-Winkel superschön, aber das ist ja der Rand der Altmark. Deshalb empfehle ich gern Biese und Aland im nördlichen Zipfel der Altmark. Das Biesebad Osterbug, das älteste Flussbad Europas. Oder geführtes Paddeln mit Figueiredos aus Vielbaum. Und wer auf eigene Faust die Biese entdecken möchte, fährt nach Klein Rossau. Die Adressen dazu findet man alle im Reiseführer. Und los geht‘s! Man paddelt durch‘s Nüscht und trifft niemanden. Aber aufgepasst – die Altmark ist nicht der Spreewald, wo zahlreiche Restaurants, Cafés oder Menschen warten … hier sind Abenteuerlust und Improvisation gefragt. Deshalb mittendrin anlegen, aussteigen und auf einer Wiese picknicken und wieder lernen, dass weniger mehr ist.

Mehrere Texte in Ihrem Buch beschreiben Menschen, die am Wasser leben und auch für Urlauber Angebote vorhalten. An welche Begegnungen erinnern Sie sich?

Mmmmh, ich erinnere mich sehr sehr gern an Gernot Quaschny, den letzten Flussfischer der Altmark, vielleicht sogar Sachsen-Anhalts. Er fischt in Elbe und Nebengewässern das ganze Jahr, schon immer. Mit ihm habe ich über den Beruf Flussfischer gesprochen. Warum er seinen Beruf liebt… Und natürlich hat er mich mit seinem Boot mitgenommen, seine Netze ausgeworfen. Es war ein herrlicher Junitag, die Sonne hatte den Himmel tiefblau gefärbt, ich war gefühlt im Sommerurlaub auf Korsika. Zu dem Zeitpunkt hatte die Elbe Niedrigwasser und in Herrn Quaschnys Netzen waren nur Krebse. Keine Fische. Dabei hat die Elbe 47 Fischarten. Zander, Hecht, Brasse, Bleie – all die Fische verkauft er freitags auf seinem Hohengöhrener Hof. Er beliefert außerdem regionale Gaststätten und den Klietzer Wochenmarkt. Seinen Unterhalt verdient er jedoch mit Forschungsfischerei.

Welcher Platz am Wasser in der Altmark ist ihr absoluter Tipp?

Die Bootsstation von Arno Heinrich in Klein Rossau.

Zum Schluss ein Ausblick. Mit welcher Region möchten Sie sich als nächstes beschäftigen?

Mit der westlichen Altmark, sie gehört ja unbedingt zu „In the Middle of Nüscht“ dazu … Mein Buch beschäftigt sich nur mit dem Landkreis Stendal, mit der östlichen Altmark, weil die Altmark einfach so groß ist… und hätte ich die westliche Altmark mit reingenommen, wär sie zu kurz gekommen. Aber die westliche Altmark ist genauso interessant und daher verdient sie ein genauso dickes Buch :-)

Sibylle Sperling, In the Middle of Nüscht. Die östliche Altmark entdecken. Entschleunigungsbuch, Orte, Leute & die besten Gastrotipps, Berlin 2018, 344 Seiten, 17x24 cm, vollständig vierfarbig bebildert, Hardcover, Omnino Verlag, ISBN: 978-3-95894-080-2, 19,99 Euro

Interview: Björn Menzel

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